Das Talentegleichnis - Anspruch und Gottesbild

Barbara Honolds Theologie-Blog


26.06.2008

Talente-Gleichnis - Anspruch und Gottesbild

Jesus_und_die_Talente An diesem Sonntag begegnet uns im Evangelium wieder die Bildrede vom Herrn, der vor der Abreise an seine Diener Talente verteilt und bei seiner Rückkehr Rechenschaft fordert. Dazu kannte ich bislang vor allem eine Deutung: Es handele sich um eine Aufforderung an uns, unsere Talente zu erkennen und im Dienste des Reiches Gottes zu nutzen. Diese Aussageabsicht liegt bestimmt auch in diesem Text. Daneben verwunderte mich jedoch immer, dass es kein Problem zu sein schien, wie negativ der Gutsbesitzer darstellt wird, vor allem im Text des Lukas:
„Du hast gewusst, dass ich ein strenger Mann bin! Dass ich abhebe, was ich nicht eingezahlt habe, und ernte, was ich nicht gesät habe! ... Nehmt ihm das Geld weg, und gebt es dem, der die zehn Minen (vgl. Talente) hat. Sie sagten zu ihm: Herr, er hat doch schon zehn. Da erwiderte er: Ich sage euch: Wer hat, dem wird gegeben werden; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Doch meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde - bringt sie her, und macht sie vor meinen Augen nieder!“ (Lk 19, 22.24-27)

Ein Bild für Gott?

So soll also auch Gott sein?? Als Antwort hörte ich oft, man dürfe die Bildrede nicht überstrapazieren, es solle kein Bild für Gott sein, sondern es gehe allein um die Frage nach den Talenten. „Bildhälfte“ und „Sachhälfte“ dieses Textes scheinen also keinen Bezug zueinander zu haben.(1) Vielleicht liegt in der Wahl des Bildes aber doch eine Bedeutung. Auf einen möglichen Aspekt hat mich ein Artikel von Michael Fricke hingewiesen, der in der Ausgabe 2 (2008) von Bibel und Kirche erschienen ist: „Wer ist der Held des Gleichnisses? Kontextuelle Lesarten des Gleichnisses von den Talenten“ (S. 76-80). (2)

Der Kontext

Fricke stellt eine lateinamerikanische Lesart des Textes vor, inspiriert von Richard Rohr (3) und Alejandro Zorzin (4). Die Darstellung des Herrn, der Untergebene dafür in Anspruch nimmt, um möglichst hohen Gewinn zu erwirtschaften, spiegelt die Gesellschaft und das System der Zeit wieder (damals wie heute). Wichtig ist dabei, den Kontext zu beachten, in dem die Bildrede bei Lukas steht:
„Weil Jesus schon nahe bei Jerusalem war, meinten die Menschen, die von all dem hörten, das Reich Gottes werde sofort erscheinen. Daher erzählte er ihnen ein weiteres Gleichnis.“ (Lk 19,11)
Die Jünger erwarten also, das Reich Gottes werde umgehend beginnen, nachdem sie Jesu Antrittspredigt (Lk 4,16 ff.) gehört hatten. Es herrscht Begeisterung und Erwartung. Nun wird alles anders. Endlich. Das Reich Gottes ist nahe. Da erzählt Jesus dieses Gleichnis – und es beginnt keineswegs mit Worten wie „mit dem Reich Gottes ist es wie...“! Es handelt sich also gar nicht unbedingt um ein Bild für das Reich Gottes oder das Himmelreich, sondern zunächst um ein Bild der Zustände, die auf Erden herrschen. Und es geht darum, dass nicht übersprungen werden kann, was unweigerlich auf Jesus zukommen wird: dass er in Jerusalem getötet werden wird (vgl. Lk 13,34).

Der Fürst

(Fricke sieht übrigens in Erzählung von einem Fürsten, der „in ein fernes Land reisen“ wollte, „um die Königswürde zu erlangen und dann zurückzukehren“ eine Anspielung auf den Herodessohn Archelaus, der 4 v. Chr. in Rom bei Kaiser Augustus die Bestätigung des Testaments des Herodes erwirkte und Herrscher über Judäa, Samaria und Idumäa wurde. Er ging rücksichtslos und brutal gegen die eigene Bevölkerung vor, die ihn ablehnt (vgl. Lk 19,14). )
Jedenfalls geht es um einen Mann, der Macht erlangen will und dazu nach Rom reisen muss und Statthalter einsetzt. „Diese sollen die Menschen genauso regieren bzw. aussaugen, wie der Fürst es tat. Bei der Abrechnung belohnt der Fürst die ersten beiden. Jesus will damit sagen: ‚Wenn du ihr Spiel mitmachst, werden sie dich dafür belohnen. Die Welt sorgt für ihre Leute.‘

Der Held

Nach lateinamerikanischer Lesart ist darum der Dritte der Held der Erzählung, denn er bietet dem Herrn die Stirn, indem er ihm vorwirft: ‚Du nimmst das, was du nicht angelegt hast.‘ Er kritisiert damit den Herrn und das System, für das er steht.“ Für diese Haltung ist er sogar bereit, die Konsequenzen zu tragen. (5) Der Herrscher lässt dem Dritten das Wenige wegnehmen, gibt es dem Ersten und ordnet die Vernichtung seiner Feinde an: „Doch meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde - bringt sie her, und macht sie vor meinen Augen nieder!“ (V. 27). Der Argentinier A. Zorzin interpretiert dies als Zeichen dafür, dass ein ungerechtes System sich gegen Kritiker nur mit Hilfe von äußerster Gewalt zu verteidigen weiß(6), ähnlich wie man später auch gegen Jesus vorgehen wird. „Diese Deutung kann sich auf den literarischen Kontext stützen. Der unmittelbare folgende Vers nach der Parabel lautet: ,Als er das gesagt hatte, ging er voran und zog hinauf nach Jerusalem‘ (Lk 19,28). Dort wird Jesus verhaftet, verurteilt, ausgestoßen und getötet. Die Passion Jesu wird durch die Parabel illustriert!“ (79)

Einwände

Freilich kann man der Auslegung Zorzins entgegen halten, dass der dritte Knecht en passant zu den Feinden gerechnet wird. Ein weiterer Einwand wäre, dass es für Jesus durchaus nichts Ungewöhnliches ist, anstößiges, irritierendes und unmoralisches Material zu verwenden (vgl. z.B. Lk 16,1-8). Zorzin legt dagegen den Schwerpunkt vor allem auf die Tatsache, dass das Reich Gottes nicht kompatibel mit einem System ist, das auf Ausbeutung und Gewalt beruht. Mit den Herren eines solchen Systems aber identifiziere sich Gott nicht.

Ausblick

Die Hoffnung liegt zum einen darin, dass Gott die ungerechten Zustände überwindet, so wie er auch den Tod besiegt hat. Zum anderen wird der Text in dieser Lesart zu einer Ermutigung, ungerechte Zustände beim Namen zu nennen („Du säst, wo du nicht geerntet hast ...“), selbst wenn schlimme Folgen zu befürchten sind. „Die befreiungstheologische Auslegung klärt nicht alle Fragen und Probleme des Textes. An manchen Stellen bleibt auch sie widersprüchlich und spekulativ - damit ergeht es ihr nicht anders als der europäischen Auslegungstradition (an anderen Punkten)“ (7), die vorwiegend den richtigen Umgang mit den von Gott geschenkten Telenten im Blick hat. Das Bild eines Herrn, der maßloses gewinnorientiertes Wirtschaften mit politischer Macht belohnt und Feinde vernichten lässt, ist jedenfalls nicht auf Gott zu übertragen. Selbst bei der Auslegung, die sich vorwiegend auf die Talente konzentriert, versucht man ja, diesen Aspekt eher auszuklammern. Die lateinamerikanische Auslegung verweist zudem auf die biblischen Spuren eines Gottes, der eine Wahl für die Armen getroffen hat und den Unterdrückten zur Freiheit verhilft.

Noch einmal: Talente

Eine Verbindung dieser Erkenntnis mit den eigenen Begabungen scheint mir aber doch nahezuliegen, stecken doch vielleicht beide Aspekte in diesem Text: Dann ginge es nicht nur um die Frage: Welche Begabungen hat mir der Herr geschenkt und wo soll ich sie einsetzen zum Aufbau des Reiches Gottes? sondern vielleicht auch: An welcher Stelle sollen die Begabungen für Schwache eingesetzt werden? Wo muss Unrecht beim Namen genannt werden („Du hebst ab, was du nicht eingezahlt hast“ )? Auch auf die Gefahr hin, dass die Folgen nicht erhebend, sondern für den Mutigen vorwiegend negativ sind?

Quellen

alle zitiert nach (2): (1) Vgl. Luise Schottroff, Die Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2005, 12 und die Gleichnistheoriem wonach die „Bildhälfte“ nicht bedeutungsloses „Hilfsmittel“ ist, sondern eine „eigene theologische Relevanz hat“. (zit. nach Fricke 79). (2) Michael Fricke, Wer ist der Held des Gleichnisses? Kontextuelle Lesarten des Gleichnisses von den Talenten, Bibel und Kirche 2 (2008), S. 76-80. Bibel und Kirche: http://www.bibelundkirche.de/ (3) Richard Rohr, Von der Freiheit loszulassen - Letting Go, München 1990. (4) Alejandro Zorzin, Reflexiones sobre el modelo economico a la luz de Lucas 19,11-27, in: Revista Parroquial (de la Iglesia Evangelica del Rio de la Plata/ Buenos Aires) Año 100 / Numero 11 (noviembre 1995), 10-13. (5) Michael Fricke 78 mit Bezug auf Rohr 142f. (6) Alejandro Zorzin, Reflexiones 12, zit. nach Fricke 79. (7) Fricke 79 f,