Abschied von Pfarrer Ballweg - und Dank 

Barbara Honolds Theologie-Blog




Pfarrer Ballweg - plötzlicher Abschied

 

Dieses Jahr wird es ein merkwürdiges Pfingstfest geben bei uns in der Gemeinde. Es fallen Karfreitag und Pfingstsamstag diesmal auf einen Tag. Völlig überraschend haben wir heute erfahren, dass unser Pfarrer Robert Ballweg heute früh verstorben ist. Und da ein Blog auch einen Tagebuch-Charakter hat, nehme ich dies ins Blog auf, weil dort ja auch Themen Platz haben, die gerade wichtig sind - in diesem Fall für uns und unsere Gemeinde. 

Wir sitzen alle ziemlich wie vom Donner gerührt da: Unser Pfarrer, 45 Jahre alt, immer ein Bild der Vitalität, soll nicht mehr am Leben sein? Das kann doch gar nicht sein ... Und dann will man mehr wissen, Näheres erfahren, sich ein Bild machen - Verarbeitungsmechanismen. Doch was hilft alles Nachfragen? Die schockierende Nachricht an sich ändert sich nicht mehr. Es gibt keine Zeitmaschine, kein Zurück (kein "Steuerung Z"), kein nachträgliches Irgendetwas-anders-Machen.

Zusammenkommen

Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht herumgesprochen, und so kamen wir heute um 17 Uhr zusammen, um unserer Trauer, unserem Schrecken und dem Abschied eine erste Form zu geben. Ein Kondolenzbuch, Kerzen, ein Bild von ihm, Musik, Lieder, Worte ...

Beeindruckt hat mich besonders die Predigt, die Pfarrer Ballweg gerade vor einer Woche, zum 7. Sonntag der Osterzeit, gehalten hat. Heute haben wir sie noch einmal gehört. Thema war ausgerechnet das Abschiednehmen! Es ging zunächst (im Evangelium) um die Abschiedszeit, die Jesu Jünger in den neun Tagen zwischen Himmelfahrt und Pfingsten erleben:

Jesus ist endgültig weggegangen, die Jünger "werden den geliebten Herrn nie wieder sehen, der sie gerufen hatte, ihm zu folgen, der ihnen eine neue Welt versprochen und gezeigt hatte ... Meine Güte, was war von all diesen tollen Versprechungen und Erwartungen noch geblieben! ER ist fort, der ihre ganze Mitte war, ihr Geist, ihr Zusammenhalt, ihr Motor, auf einmal fort."

Ähnlich wie die Jünger saßen vielleicht auch wir heute zusammen, bei unserer "Stillen Stunde" in der Kirche, die dem gemeinsamen Andenken gewidmet war. Irgendwie sehr unwirklich kam es uns vor. Schwer zu glauben - und sehr, sehr traurig.

"Die Psychologen sagen: Wer nicht trauern kann, wird niemals richtig Abschied nehmen. Die Tränen kullern lassen. Auch mal zornig werden: Ist das nicht gemein? Warum lässt Gott das zu? Abschied ist voller Gefühle, die helfen, ihn zu verkraften."

Diese Worte aus der letzten Predigt sprachen uns heute direkt in die unsere Situation der Fassungslosigkeit,  Bestürzung und Ratlosigkeit hinein an. Ebenso wie ein Rat oder eine Feststellung unseres Pfarrers (auch aus jener Predigt), die schon fast sein Lebensmotto hätte sein können:

Gute Freunde

"Die Jünger haben Glück: Sie sind nicht allein. Sie haben so was wie eine richtige Familie. Sie halten zusammen und passen aufeinander auf. Nichts Schlimmeres, als wenn man seinen Abschied allein bewältigen muss. Familie dagegen ist gut. Freunde zu haben in schweren Zeiten ist sehr gut. Wo man sich erzählen kann. Sich ausheulen kann. Einander halten und sich Ratschläge geben kann."

Ich glaube, das war ihm wirklich besonders wichtig: Dass Gemeinde ein Ort sein soll, wo man "gute Freunde" findet, dass hier "niemand allein" bleiben muss. Den Text dieses Schlagers, der so gern und oft zu Festen mit ihm erklungen ist, den hat er, denke ich, sehr ernst gemeint: dass wirklich gute Freunde niemand trennen kann und dass man mit echten Freunden nie allein ist.

Dass seine letzte Predigt ausgerechnet vom Abschiednehmen gehandelt hat, hat mich schon sehr berührt heute. Aber auch die Botschaft, von der ich meinte, dass ich sie als seine Bitte an uns herauslesen konnte: 

Ein Schritt nach vorne

"Die Jünger wussten gar nicht, was auf sie zukommen würde ... Wie geht es nun weiter? Es heißt: Sie haben zusammen gebetet, ziemlich viel sogar in dieser Zeit. Beten ist ein Schritt nach vorne, ein Stück Mut, auch wenn vor uns Nacht und Nebel ist."

Das Gebet also. Beten ist ein Schritt nach vorne. Das Gebet für ihn, das Gebet des Danks, das Gebet für die, die um ihn trauern, also auch irgendwie für uns. Beten ist ein Schritt nach vorne.

Raum der Trauer

"Das Neue kommt nicht gleich: Logisch, je größer die alte Lücke, desto länger braucht's, bis doch wieder etwas hineinwachsen kann. Neun Tage hat's gedauert. Das ist sogar noch relativ schnell. Eine richtige Trauer geht mindestens ein Jahr, sagt man. Man muss sie leben und gestalten mit besonderen Zeichen: Was ist mir wichtig?"

Der Trauer also Raum geben. So ähnlich geschah es heute, in der kleinen spontanen Andacht, und anschließend dann in der Abendmesse. So ein Raum wird auch die Beerdigung sein, auch das Selenamt. So ein Raum kann es sein, sich zusammenzusetzen und zu erzählen. Danke zu sagen. Gemeinsam zu sammeln und aufzuzählen, wofür alles wir ihm dankbar sind. 

Danke ...

Für den Humor, den er so gut weitergeben konnte, nicht nur bei unseren Festen. Für seine Bereitschaft, sich auf neue Ideen, Gestaltungen, Anregungen aus der Gemeinde einzulassen. Für sein offenes Ohr für Menschen, die selbst traurig waren, die gerade einen Verlust erlitten hatten. Dank dafür, dass bei ihm der Geist ganz oft über dem Buchstaben stand. Gedanken aus seinen Predigten. Dank für die vielen Energien auf vielen Gemeindefahrten und Reisen: dass er den Geist ferner Orte nahebringen konnte und Gemeinschaft gefördert hat - und viele, viele weitere Gründe zum Danken. Jedem und jeder fällt da etwas anderes ein. 

... und eine Bitte

Ehrlich gesagt kommen mir aber auch Begebenheiten in den Sinn, bei denen wir ihm vielleicht nicht gerecht geworden sind. Ja, die Bitte um Vergebung hat hier vielleicht auch ihren Ort, sie gehört vielleicht auch mit zur Trauer-Arbeit und zum Abschiednehmen: Abschied nehmen von der Vorstellung, etwas auf Erden nochmal graderücken oder einfach nur "zuendebesprechen" zu können.

Pfingsten

Das Ende der letzten Predigt will ich jetzt nicht vorenthalten - auch wenn wir so weit im Moment wohl alle noch nicht sind:

Dann geschah's: Davon hören wir an Pfingsten; es kommt tatsächlich was ganz Neues. Nicht mehr Jesus ist da, aber sie werden ganz von seinem Geist und seinen Gaben erfüllt. Sie leben selbst, was Jesus ihnen zeigte. Sie müssen raus, unter die Leute. Irgendwann ist die Trauer vorbei und man muss auch wieder unter die Leute gehen. Das Entscheidende ist: In unserem Leben gibt es nach jedem Abschied wieder Neues, Schönes, Lebenswertes. Aber es braucht Geduld, Mut, viel Reden, Suchen und Hinausgehen. Solche Erfahrungen wünsche ich uns allen. AMEN.