Das Gute am Ego 

Barbara Honolds Theologie-Blog




Das Gute am Ego

"Das Ziel aller Bildung ist, dass wir gute Bilder in uns tragen."

Dies schreibt Anselm Grün im sehr lesenswerten Leitartikel von "Christ in der Gegenwart" Nr. 19. Viele werden heute von negativen Bildern und Selbstbildern bestimmt, die sie am wahren Leben hindern. Die Bilder, die dagegen Jesus in seinen Bildreden verwendet, wirken anders.

Eines der Bilder, die uns am Sonntag (5. Sonntag der Osterzeit) im Evangelium begegnen werden, ist jenes vom Weinstock (Joh 15,1-8):

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.

In ihm bleiben

Wie können wir in Jesus "bleiben"? Vielleicht kann er in uns "wohnen", ähnlich wie das Bild des Geliebten in der Seele des Liebenden.

Vielleicht geht es (ähnlich wie Anselm Grün es deutet) darum, mit Jesus verbunden zu bleiben; im Herzen zu wissen, was er "jetzt sagen oder tun würde". "In ihm" zu bleiben ist jedenfalls die Voraussetzung dafür, dass unser Leben Frucht bringt: „...denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5).

Wann bringt unser Arbeiten Frucht?

Anselm Grün erkennt in diesem Satz einen Bezug zu einer tiefen Sehnsucht der Menschen, der Sehnsucht nach Fruchtbarkeit.

"Viele Menschen haben heute das Gefühl, unfruchtbar zu sein. Sie arbeiten viel, aber es kommt nichts dabei heraus. Ihr Leben blüht nicht. Jesus sieht als Grund dafür, dass alles, was man tut, aus dem Ego kommt. Wer sich durch seine Arbeit beweisen will, dessen Arbeit bringt keine Frucht. Frucht bringt unsere Arbeit und unser ganzes Sein nur, wenn wir durchlässig sind für die Liebe Jesu."

Grün unterscheidet dieses fruchtbringende Arbeiten von jenem, das nicht aus unserer "innersten Mitte geströmt ist, sondern aus dem Ego, das sich beweisen wollte".

Diese Auslegung des Weinstock-Bildes ist für mich eine neue Perspektive auf ein bekanntes Bild. Vielleicht ist etwas Wahres dran. Gleichzeitig frage ich mich, was das denn genau sein soll, ein Arbeiten, das nicht wesentlich auch von unserem Ego mitangetrieben wird. Machen wir uns nicht etwas vor, wenn wir uns einreden, unser Tun sei völlig "selbstlos" und müsse möglichst "selbstlos" sein?

Ganz ernst gemeint: Ist es nicht sehr wichtig, dass uns letztlich auch die Freude an dem Tun erfüllt, dass wir sehr wohl wissen, dass es uns auch selbst etwas "bringt", dass wir es auch selbst wirklich wollen, auch wesentlich um unserer selbst willen?

Ich erinnere mich noch gut an den Satz eines guten Freundes: Wenn du etwas NUR aus Selbstlosigkeit tust und es nur als Opfer erfährst, dem du gar nichts Positives für dich selbst abgewinnen kannst, dann wird dies derjenige zu spüren bekommen, dem damit 'geholfen' werden sollte."

Und seitdem ich den Sinn dieses Satzes erkannte, waren mir persönlich auch all die Menschen am liebsten, die mit einer gesunden Portion Eigeninteresse mir etwas Gutes taten. Es ist kann ausgesprochen schön und lebensfördernd sein, wenn wir gute Dinge tun, einfach weil sie uns Spaß oder Freude machen. Wohl gemerkt: gute Dinge. Und warum auch nicht einmal etwas Positives tun, primär um sich selbst zu beweisen? Wäre das wirklich so schlecht? Oft denke ich: Egal, Hauptsache, das Gute geschieht überhaupt!

Ja, es genügt völlig, wenn das Ego nicht einziges und letztes Motiv all unseren Handelns ist. Es reicht vollkommen aus, zu versuchen, unser Leben im Ganzen auf Jesus und sein Wort auszurichten; und auf dem Weg dahin bzw. auf diesem Weg mit ihm dürfen wir sehr wohl auch die Kraft der Freude und unser Ego mit einsetzen.

Anselm Grün unterscheidet in seinem Text das Ego vom wahren Selbst (wie es auch traditionell unterschieden wird). Nur was aus dem wahren Selbst kommt, ist echt und fruchtbar. Was aus dem Ego herauskommt, bleibt äußerlich. Ich überlege, ob damit vielleicht etwas Ähnliches gemeint ist wie bei meinem Wunsch, das Ego einzusetzen, wobei es nicht unser LETZTES Motiv sein soll; im Ganzen soll unser Tun ja auf Jesus ausgerichtet sein. Trotzdem:

Das "Ego" kommt mir oft zu schlecht weg. Ich habe erfahren: Das Ego (oder: der Egoismus) ist gar nicht rundweg der Feind unserer Hingabe an Gott. Hingabe soll ja etwas sein, das man auch auf Dauer durchhalten kann. Wenn dabei das Ego unser Partner sein darf, dessen Freuden wir auch mit einsetzen dürfen, bringen wir vielleicht auf die Dauer viel mehr und länger Frucht, als wenn wir darauf achten, unsere Arbeit möglichst selbstlos zu tun.

Was meinen Sie?