Wer bin ich, wenn mich niemand hört? 

Barbara Honolds Theologie-Blog



26.04.2009

Wer bin ich, wenn mich niemand hört?

Warum twittern wir? Warum wird gebloggt? Wen interessieren all diese Texte? Ich glaube, viele von uns schreiben, weil wir möchten, dass uns jemand hört.

Durch unser Netzwerk wortstarker Frauen (http://texttreff.de) bin ich auf folgendes Interview mit der Schriftstellerin und Bloggerin Else Buschheuer aufmerksam geworden:
"Blogs sind abgetriebene Gedanken":

Ihr Text gab mir zu denken, bin ich doch selbst der Versuchung des Bloggens "verfallen". Aber als "abgetriebene Gedanken" muss ich meinen Blog hoffentlich nicht bezeichnen. Im Gegenteil: Mich führt er häufig weg von der Oberflächlichkeit:

Bloggen schafft einen neuen Stil des Erlebens

Eine Erfahrung der Autorin kommt mir bekannt vor: Sie schreibt, das Bloggen habe ihren Erlebensstil verändert:

"Ich prüfe alles auf Verwertbarkeit: Wenn ich ausrutsche und stürze, hab' ich, noch bevor ich auf den Boden aufschlage, einen kurzen, lakonischen Satz dafür formuliert."

Für andere mit-schauen, mit-hören und mit-lesen

So ähnlich ergeht es mir auch, freilich nicht beim Stürzen, sondern eher beim Predigthören, aber auch bei der Arbeit oder beim Lesen: Ich prüfe manchmal schon beim Hören und Lesen, was davon vielleicht Grundlage für einen Text in meinem Blog werden könnte. Das führt bei mir aber zu einem tieferen Erleben, nicht zu einem oberflächlichen: Da ich jetzt nicht mehr nur für mich selbst sammele (so wie früher im privaten Tagebuch - das es freilich trotzdem noch gibt), halte ich die Augen neu und anders offen, ob etwas Erfahrenes vielleicht anderen nützt.

Wer bin ich, wenn mich niemand anschaut?

Das klingt erst einmal altruistisch. Doch ertappe ich mich dabei, dass es auch einen anderen Grund gibt, gern zu bloggen. Ein Buchtitel kommt mir dazu in den Sinn, der treffend etwas ausdrückt, das ich nachempfinden kann: "Wer bin ich, wenn mich niemand anschaut?"

Der Maler R. P. Litzenburger formulierte es 1979 so:

Alles Leben, die ganze Schöpfung, ist Bild. Aber wo bleibt sie, wenn wir sie nicht betrachten, nicht anschauen? Wer und auf welche Weise sind wir, wenn uns niemand ansieht, hört, fühlt? Wer bin ich, wenn mich keiner wahrnimmt? Wenn keiner mit mir redet oder mit mir schweigt? ...

Wenn die Bibel im Alten Testament in der Genesis, in der Entstehungsgeschichte davon spricht, daß ‘Gott den Menschen schuf nach seinem Bild’, so verstehe ich das auch als Spiegelbild. Anders gesagt: als Dialog. Dem entspricht gleichsnishaft: Er erschuf ihn als einen Mann und eine Frau. Also wieder ein Dialog. Das Gespräch zwischen Gott und Mensch ist ein Prozeß, die Weggeschichte und Entfaltung von Frau und Mann; von Menschen mit Menschen. Genesis ist immer. - Auch heute.“

Quelle: http://www.guenterbiemer.de/cat/litz.htm

Wir wollen gehört und gesehen werden. Das Bedürfnis, dass uns jemand zuhört, scheint mir allenthalben groß und schier unstillbar zu sein. Dies erkenne ich nicht nur beim Blick auf das eigene Empfinden, sondern auch in meiner Gemeinde, im Freundeskreis und in der Verwandtschaft, bei allen, die keinen (oder nur wenige) Menschen in ihrer Nähe zu haben scheinen, sich einsam fühlen und gern die erste Gelegenheit zum Gespräch aufgreifen (z. B. mich). Viele von uns kennen solche Gespräche, die nahezu kein Ende zu finden scheinen.

Oft höre ich gern lang zu. Wenn es nicht mit irgendeiner Arbeits-Forderung kollidiert; sonst bin ich hin- und hergerissen von den Ansprüchen der Arbeit und dem Anspruch zuzuhören. Dann hat das Zuhören-Können auch seine (legitime!) Grenze.

Normalerweise aber höre ich gern zu,
weil mich mein Gegenüber interessiert und
- ich gebe es zu! -
weil ich selbst gern erzähle und sehr zu schätzen weiß, wie viel es wert ist, wenn Menschen überhaupt zuhören können.

Twittern - der nichtgehörte Ruf ins Off

Vor einiger Zeit habe ich mich daher auch ans Twittern gewagt. Monatelang habe ich mich in die Regeln des Twitterns eingefunden und recht gern immer wieder ins Off gezwitschert, was ich gerade tue. Das ist nämlich die Kernfrage beim Twittern, auf die man antwortet: "what are you doing?", was machst Du gerade?

Mittlerweile habe ich mit dem Twittern wieder aufgehört.
Hauptsächlich steht dahinter ein Zeitproblem: Ich möchte mich auf die Dinge konzentrieren, die mir wirklich wichtig sind.
Zum Zweiten aber hatte ich auch das Gefühl: Das interessiert eigentlich keinen Menschen, "what I am doing", was ich gerade mache.

Wen interessiert's?

Twittern klappt nur,
a) wenn mein Gezwitscher für andere interessant ist,
b) wenn ich genügend Menschen persönlich kenne, die ebenfalls twittern,
c) wenn ich genügend Zeit zum Lesen des Gezwitschers der anderen habe (!) und
d) wenn auch ich Interesse daran habe, what they are doing: was die anderen tun.

Vielleicht habe ich dem, was mir entgegenzwitscherte, zu wenig Interesse entgegengebracht. "I'm at Wollmarkt + Tankstelle -" Naja gut. Oder dass Marya gerade Zähne geputzt hat, Peter die Kinder zum Flöten gefahren hat oder Susanna ein Morgenmuffel ist, das bedarf meiner Zuwendung (und kostbaren Zeit) irgendwie nicht so sehr. Vor allem, wenn ich Marya, Peter und Susanna kaum kenne. Und sie sagen es ja auch nicht MIR, sondern irgendwo ins Off hinein.

Ähnlich wird es anderen gegangen sein, als ich ihnen twitterte:
"Lange Pause gemacht. Heut fällt mir das Arbeiten schwer."
Das wollte eigentlich niemand wissen. Ebenso:

"Bin immer noch in L. und schaue mir Krankenhäuser von innen an. Sitze ziemlich hibbelig rum und warte auf Infos von den Ärzten. Zwischendurch ein paar Twitterversuche."
Und so weiter.
Das war eindeutig das falsche Medium für meinen Klage-Ruf (zumindest, falls mir daran gelegen war, dass jemand darauf reagiert).

So viel zu sagen

Ich empfinde es so:
Es gibt so viele, die sprechen und angehört werden möchten (und jaja, ich weiß: Das trifft gerade auch auf mich selbst zu und ist mit ein Grund für meine langen Texte im Web.)

So viele Sprechende.
Aber so wenige Zuhörende.

Vielleicht ein Vorsatz für mich:
Selbst so oft es geht mit echter Aufmerksamkeit zuzuhören.